Haaranalyse auf Alkohol, Drogen, Medikamente und andere toxikologisch-relevante Substanzen
Haaruntersuchungen können im Zuge von Rechtsverfahren sowie bei medizinischen und arbeitsplatzbezogenen Fragestellungen zweckdienliche Aussagen zur Aufnahme von Substanzen liefern, z.B.:
- Eignungsprüfungen (Straßenverkehr, Waffenrecht, Arbeitsplatz, etc.)
- Bewährungsauflagen
- Sorgerechts-Fälle
- Beikonsum-Kontrolle bei Substitutionstherapie
- Fragliche Beibringung von „K.O.-Mitteln“
- Fragliche chronische Vergiftungen
Aufgenommene Substanzen bzw. deren Stoffwechselprodukte werden im Zuge der Körperpassage in wachsende Haare eingelagert. Diese Einlagerung erfolgt unabhängig von der Art des Aufnahmeweges (oral, nasal, inhalativ etc.). Die chemische Untersuchung von Haaren ermöglicht somit eine zeitliche Rekonstruktion des Substanzkonsums. Unter Zugrundelegung einer mittleren Kopfhaar-Wachstumsrate von etwa 1cm pro Monat reflektiert beispielsweise der Untersuchungsbefund eines 6cm langen Kopfhaut-nahen Haarabschnitts das Substanzkonsum-Muster der dem Zeitpunkt der Probenahme vorangegangenen letzten sechs Monate. Durch Untersuchungen einzelner Haarabschnitte (sog. Segmentanalysen) ist eine detailliertere zeitliche Auflösung des Substanzkonsums möglich (z.B. 6 x 1cm = monatsweise Aussagen). Einschränkend wird darauf hingewiesen, dass die Haarwachstumsrate physiologisch eine ungefähre Schwankungsbreite von 0,8-1,4cm pro Monat aufweist und dass diese Grenzen bei Hauterkrankungen oder Hormonbehandlungen unter- bzw. überschritten werden können. Eine definitive Eingrenzung eines Substanzkonsums auf bestimmte Tage oder eine bestimmte Woche ist alleine deshalb schon nicht möglich.
Substanzkonzentrationen im Haar erlauben Rückschlüsse auf die Konsumhäufigkeit bzw. -intensität. Für viele Substanzen ist damit ein gelegentlicher von einem häufigeren, regelmäßigen bis hin zu täglichen Konsum im Beobachtungszeitraum differenzierbar. „Rückrechnungen“ auf Tagesdosen sind aber nicht möglich. Die diagnostische Sensitivität ist bei den einzelnen Substanzen sehr unterschiedlich, da einerseits Konsumeinheiten von Substanz zu Substanz variieren und ebenso die Einspeicherungsraten unterschiedlich sind. Während für manche Substanzen, beispielsweise Cocain, bekannt ist, dass bereits ein einmaliger Konsum im Verlaufe einiger Monate durch Haaruntersuchungen mit hoher Wahrscheinlichkeit erfasst werden kann, ist dies bei anderen Substanzen nicht zwingend der Fall. Ein negativer Untersuchungsbefund kann daher nie einen einmaligen Substanzkonsum im Beobachtungszeitraum ausschließen.
Diese Limitierung ist in Relation zur medizinischen/forensischen Fragstellung bzw. zu den alternativen Untersuchungsmöglichkeiten nicht als gravierender Nachteil zu verstehen, weil dafür mit einer einzigen Haaruntersuchung eine Aussage über durchschnittliche Konsumgewohnheiten mehrerer Monate getroffen werden kann bzw. ein bereits mehrere Monate zurückliegender Substanzkonsum potentiell erfassbar ist. Hingegen ist beispielsweise das Nachweisfenster vieler Suchtmittel in Körperflüssigkeiten auf Stunden (Blut, Speichel) bis Tage (Urin) nach der Aufnahme beschränkt. Nur wenige Substanzen (v.a. einige Benzodiazepine und ein Stoffwechselprodukt des THC) können nach regelmäßigem Konsum auch noch nach einigen Wochen im Urin nachweisbar sein. Im Falle von Suchtmitteln würde eine quasi lückenlose Abstinenzkontrolle damit etwa wöchentliche Urinabgaben notwendig machen.
Haarpflege und Umwelteinflüsse in üblichem Ausmaß beeinträchtigen die Aussagekraft des Untersuchungsbefundes in aller Regel nicht nennenswert. Starkes Bleichen oder andersartige gravierende chemische Veränderungen der Haarstruktur können Auswirkungen auf bestimmte eingelagerte Substanzen haben. Bei fortlaufenden Kontrollen sollte daher auf derartige Haarbehandlungen im Beobachtungszeitraum verzichtet werden und die Probanden sind auf diesen Umstand hinzuweisen, vgl. Merkblatt (ProbandInnen) „Abstinenzkontrollprogramm mittels Haaranalyse“ (dieses Merkblatt übersenden wir nur auf persönliche Anfrage). Offensichtlich erkennbar durchgeführte Veränderungen der Haare werden dokumentiert.
Kontaminationen der Haare sind möglich, im Zuge der Probenaufarbeitung wird die Haarprobe aber in mehreren Schritten mit organischen Lösungsmitteln gewaschen, um äußere Anhaftungen entsprechend zu entfernen. Zur weiteren Absicherung erfolgt bereits im Routineuntersuchungsumfang für ausgewählte Substanzen neben einer Untersuchung auf Stammsubstanzen auch eine Prüfung auf das Vorhandensein von Stoffwechselprodukten, die im Zuge der Körperpassage gebildet werden. Sollte auf Basis der Routineergebnisse ein Konsum bestritten werden, stehen für die weiterführende Abklärung des Einzelfalls Spezialuntersuchungsmethoden zur Verfügung.
Durch Medikamenteneinnahme oder Krankheiten fraglich falsch-positive oder falsch-negative Ergebnisse, wie dies beispielsweise bei Alkoholkonsum-relevanten Leberwerten im Blut der Fall sein kann, sind bei Haaruntersuchungen nicht möglich.
Um Manipulationsmöglichkeiten durch den Probanden im Zuge der Probengewinnung hintanzuhalten, sollten die Probenahme und der Versand der Haarprobe nach dem in Abschnitt 5 genannten Ablauf durchgeführt werden.
Körperhaare sind hinsichtlich ihres Alters stärker durchmischt als Kopfhaare. Dieser Umstand erschwert die zeitliche Eingrenzung des Beobachtungszeitraums. Es ist auch bekannt, dass der Eintrag von Substanzen über den Schweiß bei Körperhaaren stärker ausgeprägt sein kann als bei Kopfhaaren, im speziellen auch der Eintrag über den Urin bei Schamhaaren. Substanzkonzentrationswerte in Körperhaaren sind daher in Bezug auf die Konsumintensität mit größerer Zurückhaltung zu beurteilen. Aus diesen Gründen und auch aufgrund der Einfachheit der Probenahme sind im Regelfall Kopfhaare zu bevorzugen.
Um aussagekräftige und in Rechtsverfahren verwertbare Befunde bzw. Gutachten zu erhalten, sind grundlegende Schritte der Probenahme und des Versands zu beachten. Diesbezüglich wird auf das Merkblatt „Probenahme & Versand Haare“ sowie auf das Anforderungsformular „Haaruntersuchung“ verwiesen. Die Übermittlung extern abgenommener Haarproben muss jedenfalls außerhalb des Einflussbereichs des Probanden erfolgen. Im FTC Labor werden Probenahmen kostenfrei durchgeführt (telefonische Terminvereinbarung).
6.1 Alkoholkonsum
Für den Nachweis von Alkoholkonsum mittels Haaranalyse, insbesondere zum Zwecke der Abstinenzkontrolle, kann die Konzentration von Ethylglucuronid (EtG) bestimmt werden. Bei einigen Fragestellungen kann eine ergänzende Untersuchung auf Fettsäureethylester (FAEE) sinnvoll sein. Die Analysen werden jeweils mit Substanz-identifizierenden Verfahren durchgeführt (Hochleistungsflüssigkeitschromatographie bzw. Gaschromatographie jeweils gekoppelt mit Tandem-Massenspektrometrie).
EtG und FAEE sind Alkohol-spezifische Stoffwechselprodukte und damit sogenannte direkte Marker des Alkoholkonsums. Davon zu unterscheiden sind indirekte Alkoholkonsum-Marker, d.h. Parameter, die biologische Wirkungen des Alkohols anzeigen. Beispiele hierfür sind Leberwerte (v.a. gamma-GT), der MCV-Wert (mittleres Erythrozyteneinzelvolumen) und der CDT-Wert (carbohydrate deficient transferrin). Die Beurteilung der Alkoholkonsum-Intensität auf Basis dieser indirekten Alkoholkonsum-Marker kann in bestimmten Fällen von Erkrankungen, der Einnahme von Medikamenten oder infolge genetischer Veranlagung erschwert sein (fraglich falsch-positive oder falsch-negative Befunde). Ebenso ist die diagnostische Sensitivität der genannten indirekten Alkoholkonsum-Marker nicht ausreichend, um Alkoholabstinenz von moderatem Alkoholkonsum zu differenzieren.
Demgegenüber erlaubt die EtG-Konzentration im Haar die Alkoholkonsum-Intensität im Beobachtungszeitraum abzuschätzen. Für derartige Zwecke sollte der für die Untersuchung verwendete Haarabschnitt nicht mehr als 3 cm gemessen von der Kopfhaut an betragen, entsprechend einem Beobachtungszeitraum von etwa drei Monaten (vgl. Abstinenzkontrollprogramm Haare im Rahmen der Fahreignungsdiagnostik in Deutschland).
6.2 Konsum/Beibringung von Drogen und Medikamenten
Aufgrund ihrer chemischen Eigenschaften können viele im Haar eingelagerte Suchtmittel (Suchtgifte, psychotrope Substanzen), andere Drogen sowie Medikamente mit hoher Empfindlichkeit nachgewiesen werden. Zusätzlich geben Substanzkonzentrationen im Haar, sofern entsprechende Erfahrungswerte vorliegen, Auskunft über die ungefähre Konsumhäufigkeit im Beobachtungszeitraum (vgl. Abschnitt 2).
Im Rahmen der Fahreignungsdiagnostik wird routinemäßig auf das Vorhandensein typischer Missbrauchsdrogen bzw. deren Stoffwechselprodukte (Cannabinoide, Cocain, Amphetamine und derartige Designerdrogen, Heroin) sowie auf ausgewählte Medikamente (Substitutionstherapeutika vom Opiat- und Opioid-Typ, Opioid-Analgetika, Benzodiazepine) geprüft. Das untersuchte Substanzspektrum leitet sich hierbei aus Daten internationaler Studien sowie eigenen Erfahrungen zur Substanzprävalenz in Blutproben beeinträchtigter Kfz-Lenker ab. Bei anders gelagerten Fragestellungen ist eine Erweiterung des Parameterumfangs flexibel möglich (Antidepressiva, Neuroleptika, spezielle „KO-Mittel“, etc.). Standardmäßig erfolgt die Untersuchung eines 6cm langen Kopfhaut-nahen Haarabschnitts, entsprechend einem Beobachtungszeitraum von etwa 6 Monaten. Untersuchungen längerer oder kürzerer Haare sind ebenso möglich. Eine Analyse mehrerer kürzerer Haarabschnitte kann beispielsweise in Fällen einer fraglichen Beibringung von „KO-Mitteln“ sinnvoll sein.
Für die Haaranalyse auf Drogen und Medikamente werden Substanz-identifizierende Analysenverfahren verwendet (i.a. Hochleistungsflüssigkeitschromatographie gekoppelt mit Tandem-Massenspektrometrie). Damit werden falsch-positive bzw. falsch-negative Befunde praktisch ausgeschlossen (kein Risiko für „Kreuzreaktivität“). Des Weiteren sind konkrete Rückschlüsse auf das Substanzkonsum-Muster möglich, d.h. es werden einzelne Substanzen nachgewiesen (im Unterschied zu immunchemischen Gruppentests, zB auf „Benzodiazepine“, „Opiate“). Beispielsweise kann bei Probanden, die sich in einer laufenden Substitutionstherapie mit Morphin befinden, ein Heroin-Beikonsum erkannt werden oder es kann im Falle einer aufrechten Benzodiazepin-Medikation festgestellt werden, ob ein Beikonsum nicht-verordneter Benzodiazepine stattgefunden hat.
Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass derartige Aussagen auch mit Urinuntersuchungen möglich sind, sofern anstelle oder zusätzlich zu immunchemischen (Schnell)tests Substanz-identifizierende Untersuchungsverfahren zum Einsatz kommen. Das im Vergleich zu Haaren deutlich geringere Substanz-Nachweisfenster im Urin ist bei der Beurteilung aber jedenfalls zu berücksichtigen.
6.3 Konsum/Beibringung anderer Substanzen
Grundsätzlich können Pflanzengifte, Schwermetalle und andere toxikologisch-relevante Substanzen in Haaren nachgewiesen werden. Möglichkeiten und Grenzen der Haaranalyse in derartigen Fällen sollten aber unter Einbeziehung der Sachlage individuell beurteilt werden.